Stefan Beck: Texte von 1993 - 1998

Das Empirische und das Digitale

Fragment

Dieser Text ist keine Produktform. Wenn Sie ihn lesen, sind sie zu nichts weiter verpflichtet als zu dem, was Sie schon immer getan haben und immer wieder tun werden. Ihnen kann in diesem Moment vollkommen egal sein, ob dieser Text mit einer Schreibmaschine oder mit einem Digital-Computer geschrieben wurde, dessen immaterielle Pixel sich erst nachträglich in das vorliegenden Papier laserten. Niemand ist bereit für die Qualität von Information zu bezahlen. Vielleicht noch für Ihre Bereitstellung. Warum sollten Sie anders denken, bloß, weil Sie eine Künstlerin sind? Sie lesen, daß dieser Text keine Produktform darstellt, - erleichtert -, weil Sie schon immer daran gewöhnt waren, daß immer schon andere für ihre intellektuellen Produkte bezahlt haben. Die digitale Revolution besteht darin, daß im digitalen der Text nicht mehr von seiner Produktform getrennt werden kann. Der Text ist immer vorgänglich Diskette oder Magnetspeicher oder optisches Mittel. Was sie auch einbilden oder informieren wollen, dem Akt des Schreibens geht sein digitales Medium voraus. Ob Sie das etwa auch »Labtop« oder »Power Book« nennen, ist Ihrem Selbstverständnis nach, in dem Freiheit und Kreditkarten eine Hauptrolle spielen, eher akzidenziell. Sie lesen also, daß dieser Text keine Produktform darstellt, weil er schon vorher eine Diskette oder ein Magnetband war, mit dem Sie keine Essenz verbindet. Dieses intellektuelle Ereignis verpflichtet zu nichts, seine - vielleicht einmalige - Lesung bleibt für Sie ohne Folgen, zumindestens für Freiheit und Kreditkarte. Zwar ist der Mensch in der Analytik der Endlichkeit eine seltsame, empirisch-digitale Doublette (Sein oder Nicht-Sein, Eins oder Null), weil er ein solches Wesen ist, in dem Sie Kenntnis von dem nehmen, was jede Erkenntnis möglich macht. Aber für das moderne Denken, das weitestgehend digital bestimmt ist, ist es nicht weiter wichtig, wo dessen Inhalte lokalisiert worden sind. Man braucht nicht mehr zu wissen, ob man sie in der Introspektion oder in anderen Formen materieller Speicherung gesucht hat. Vergessen Sie Begriffe wie ROM, RAM, Festplatte oder Optical Disk. Die Anbetung des physischen Speichers ist die letzte Religiosität eines Zeitalters, das seinen Gott längst im digitalen Nichts zwischen den diskreten Zeichen verloren hat. (Erinnen Sie sich des Analogen: zwischen je zwei Zeichen liegt ein weiteres Zeichen mit Bedeutung.). Die moderne Angst entsteht aus diesem Nichts, das die digitale Maschine in ihrem subjektlosen Walten mühlelos zu überspringen imstande ist. Daß sie darin freier ist als der Mensch, hängt mit seiner gewöhnten Bindung an ein Subjekt (seiner Begierde) zusammen, welches ihm, lieb und vetraut geworden, anhängt wie eine Kapuze. Dessen »ich denke« und »ich schreibe« fügt sich aber nur zum kleineren Teil in den größeren Zusammenhang des »sich denkens« und »sich schreibens«. Beide sind niemals zur Deckung zu bringen. Die Maschine füllt darin einen anderen, fremden Teil aus, in welchem sie »denkt« und »schreibt«.

Wenn das hier von einem Menschen geschrieben wurde, wissen Sie also, daß dieser Text keine Produktform darstellt. Woher eigentlich?