Stefan Beck: Texte von 1993 - 1998

Für Manuela Burghart aus Anlaß ihrer Ausstellung in der Galerie Hubert W., 1010 Wien

Art of the Guts

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»Was ist unser Geschwätz von den Griechen! Was verstehen wir denn von ihrer Kunst, deren Seele - die Leidenschaft für die männliche nackte Schönheit ist! Erst von da aus empfanden sie die weibliche Schönheit. So hatten sie also für sie eine völlig andere Perspective, als wir. Und ähnlich stand es mit ihrer Liebe zum Weibe: sie verehrten anders, sie verachteten anders.«

(Friedrich Nietzsche, Morgenröthe)

Ich glaube, die 90er Jahre werden ein Jahrzehnt, in dem die Kunst unbedingt zur Wahrheit gelangen wird. Und zwar ohne weitere Umstände. Denn die 80er Jahre waren geprägt vom Geist der Simulation und der Simulation der Simulation. Diesem Streben nach einer falschen Wahrheit. Was ist die Simulation nicht anderes als ein geschickter Kulissenschwindel, in dem ich das Objekt der Begierde (der Referenz) unter den Augen des Betrachters entfernen kann. Was bleibt ist Illusion.

Ich verlange nach einer echten Wahrheit in der Kunst. Es gab zuviel falsches. Das zudem auch noch kompliziert war. Das ist mir zu schwierig. Ich möchte ein einfaches Bild mit einem einfachen visuellen Erlebnis. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Kunst in der Entschlüsselung bestand. Die radikale Enträtselung der Kunst wird, glaube ich, zu ihrem Merkmal für die 90er Jahre. Dazu muß Kunst wieder zu einem sinnlichen Erlebnis zurückfinden. Nur, wenn ich meinem direkten sinnlichen Eindruck vertrauen kann, wächst in mir die Kraft und das Vertrauen in die Redlichkeit des Werkes und der Absicht. Geben wir zu, diese »Simulationskunst« hat die Glaubwürdigkeit des Künstlers erschüttert. Wir können nicht mehr unseren Sinnen und unserem Urteilsvermögen trauen und bleiben reserviert. So wird Kunst mehr denn je als für sich stehend und unbeteiligt an den gesellschaftlichen Bedingungen betrachtet. Der Graben zwischen Künstler und Rezipient hat sich verbreitert.

Das Kunstwerk muß für mich nicht nur einen einen authentischen Eindruck machen und ungekünstelt wirken - es muß ihm auch in seinem Sein entsprechen. Dieses ganze 80er Jahre Gerede vom Zeichen und seiner Referenz, von der freien Fluktuation der Signifikanten, von der Unterordnung des Signifikats, das finde ich einfach überflüssig. Viel zu lange hat man sich dahinter verborgen. Wenn ich ein Bild sehe, dann will ich nicht wissen, ob es ein Zeichen von irgendwas ist. Kunst, die sich nicht eindeutig festlegt, hat ihren Vorschuß verspielt.

Nach meiner Meinung kommt dieser erschreckende Zustand daher, daß wir nicht mehr in der Lage sind zu verabscheuen. Mit unserem hochgezüchteten Geist vermögen wir ein Ölgemälde von Rembrandt in gleicher Weise zu schätzen, wie eine Tasse der Ming Dynastie, eine ägyptische Plastik oder ein Film von Steven Spielberg. Alles Dinge, die sich in ihren Kunstauffassungen nicht nur widersprechen, sondern von Grund auf Feind und auf die Zerstörung des anderen aus sind. Die vollkommene Beliebigkeit mit der wir diese Dinge ästhetisieren können, verweist auf unsere totale Geschmacklosigkeit in diesen Angelegenheiten. (Panästhizismus, scheint mir, ist die Grundlage dieses erschreckenden Multikultur-Rassismus mit seiner Kebabbudenfreundlichkeit und Türkeiurlauben. »Ich will die Vielfalt der Kulturen genießen« - wie gesehen als Slogan einer Anti-Fremdenhaß(!) Kampagne – ist schon der Grund und Ursprung jeden Rassismus.) Daran ist keinesfalls nur das Museum schuld, wie Herr Weibel glaubt, sondern unsere erschrekkende Unfähigkeit spontan und tief zu verabscheuen. Dieses Gefühl, das in den Eingeweiden festsitzt, das die Galle und den Speichel treibt, den Schleim verdickt, das schlechte Luft macht und die Gedärme bläht. Das anschwellen läßt, das dicker, böser und gefährlicher macht. Das kennen wir nicht mehr. Schlechte Kunst müßte mir den Magen umdrehen, mir grünen, grisseligen Schaum vor den Mund schlagen - stattdessen verursacht sie nur ein gesäuseltes intellektuelles Unwohlsein. Wer Rembrandt schätzt, müßte physisch außerstande sein nur irgend eine andere Art von Malerei zu betrachten. Verachtung für das Werk des anderen, nicht Toleranz - ist es nicht diese Radikalität, die die Kunst des Abendlandes seit jeher eingefordert hat? Krieg um der Kunst wegen - diktierte diese Anschauung nicht jegliche Form des Schlachtens? Die Griechen dachten damals noch direkter, natürlicher - um sie herum nur Barbaren, und dieses Barbarengefühl ist uns abhanden gekommen, das einhergeht mit dem tiefen und nachdrücklichen Wunsch, den Künstler für sein schlechtes Werk nicht nur zu schmähen, sondern endlich zu bestrafen!

Kunst, die nicht den sofortigen Wunsch nach Vergeltung hervorruft, ist schwache Kunst. Es ist die Gewalt und die Beantwortung dieser Herausforderung mit erneuter Gewalt, die den Reiz und den Prickel früher Kunst ausmacht. Die Bestrafung ist der Kern der Kritik. Und die Bestrafung nicht weniger als die Kastration des Künstlers. Die Vernichtung seiner Potenz ist die Vergeltung, die die Potenz in der Schaffung und Existenz des Kunstwerkes auf uns ausübte. Die Ohnmacht, in die die Emmanation des Kunstwerkes versetzt, fordert die direkte Wiedergutmachung am Leib des Künstlers. Kunst muß immer mit Blut bezahlt werden.

Und daher erachte ich, mit Verlaub, die Existenz von Frauen in der Kunst - als direkte Schöpferinnen von Kunstwerken - nicht als Fortschritt, da an ihnen die Rache der Kastration nicht verübt werden kann. Sie sind als solches schon kastrierte Wesen, die beständig aus dieser Wunde bluten müssen. Als die Kunst eine männliche Angelegenheit war, war sie stark und kräftig, weil auf jedes Werk Vergeltung drohte. In der Absenz des Phallus, die den Frauen zu eigen ist, bricht dieser Grundkonsens der Kunst auf, und sie wird schwach und krank. Daß historisch der Eintritt der Frauen in die Kunst (um 1830) mit der Theorie von der biologischen Verschiedenheit der Geschlechter (Entdeckung des weiblichen Eis, Ende der seit der Antike bewahrten Eingeschlechter-Theorie) zusammenfiel, mag nicht verwundern. Die »Kunst und ihr Doppel« ist die Reflexion auf die Differenz von Mann und Frau. Es ist ihr Sinn, auf den sie abzielt, denn in ihm kodiert sich die reale Verschiedenheit der Geschlechter nach ihrer jeweiligen Praxis und nicht nach ihren körperlichen Unterschieden. Erinnern wir vielleicht daran, daß die aus unserer Sicht kuriosen sexuellen Praktiken des Altertums mit der ihnen zugrundeliegenden Einteilung in Männer, Frauen, Knaben und Sklaven (=Sachen) nicht am Geschlecht, sondern an der Vorstellung von Aktivität und Passivität sich orientierte. Nicht die Homophilie oder die Päderastie als solche waren geschätzt, sondern die Vorstellung einer aktiven Rolle beim Geschlechtsverkehr. Sexuell erlaubt, war alles, was sich aktiv, herrschend, überlegen ausnahm, verpönt solchen Praktiken zu unterliegen oder sie erdulden zu müssen.

Die Künstlerin - dürfen wir Rimbaud abwandelnd sagen - das ist eine andere. (Manets »Olympia« als ihr erstes Modell: herrisch, selbstbewußt, distanziert.) Seit dem Eintritt von Frauen in die Kunst orientiert diese sich nicht mehr am Geschlecht - das in seinem radikalen Verständnis nur eines, einziges - nämlich das männliche sein kann - sondern an der Praxis. Wie die Geschlechter nicht mehr daran zu befragen sind, was sie sind, sondern, was sie tun, so bemisst sich die Kunst nicht an ihrem Sein, ihrem Stand und ihrer Position, sondern an ihrem Werden, Weilen, Wandeln. Wenn sie darin schwach geworden ist und beliebig, dann, weil ihr Status anderen gesellschaftlichen Tätigkeiten wie Wissenschaft oder Ökonomie nicht mehr übergeordnet ist. Die Erlösung der Kunst aus dem Reich des Wunderbaren in die Kategorie des Zweckmäßigen entsetzt nicht nur die Differenz der Geschlechter sondern bildet fortan die Matrix des Rassismus.

In Amerika kristallisiert sich dessen Form - mindestens seit ihrer literarischen Manifestation in Ellis »American Psycho« - nicht mehr allein gegen die unterpriveligierten Schichten der Gesellschaft, sondern zunehmend gegenüber solchen, gegen die die Protagonisten des Rassismus selbst unterprivilegiert erscheinen - Japaner. Hinter diesem Schema verbirgt sich die Furcht, die Weltherrschaft an eine asiatische Nation abgegeben zu haben, die nichts daran hindert das Land als Selbstbedienungsladen ihrer Expansion zu betrachten. Slavoj Zizek kommentiert dazu: »Dies wird bezeugt durch die obsessive Beschäftigung der amerikanischen Medien mit der Vorstellung, daß die Japaner genußunfähig seien. Der Grund für die wachsende ökonomische Vorherrschaft der Japaner gegenüber den USA wird dabei in der gewissermaßen mysteriösen Tatsache gesehen, daß Japaner nicht genügend konsumieren, daß sie zuviel Reichtum anhäufen. Wenn wir näher an die Logik dieser Beschuldigung herangehen, so wird es bald klar, daß die amerikanische »spontane« Ideologie in Wirklichkeit den Japanern nicht einfach ihre Unfähigkeit sich zu vergnügen vorwirft, sondern vielmehr den Sachverhalt, daß ihre tatsächliche Beziehung zwischen Arbeit und Genießen sonderbar verdreht ist. Es ist, als ob sie in ihrem exzessiven Verzicht auf Vergnügen, in ihrem Fleiß, in ihrer Unfähigkeit eines »Take-it-easy«, in ihrer Unfähigkeit zu Erholung und Freude ein Genießen finden würden - und gerade diese Eigenschaft wird als eine Bedrohung der amerikanischen Vormacht gesehen.« Ich kann diesem Japanbild Zizeks nur zum Teil zustimmen. Das Problem ist nicht der Reichtum der Japaner, sondern die Tatsache, daß sie damit Amerikas Ikonen aufkaufen, und nicht ihre Unfähigkeit zum Genuß, sondern die amerikanische Unfähigkeit dazu. »Take it easy« ist kein Wahlspruch der amerikanischen business-world. Tatsächlich liegt das Problem im japanischen Genuß, einem unheimlichen, ungeheuerlichen Genuß, der gerade durch die amerikanische Brille als exzessiv erscheinen muß. Es ist das amerikanische Trauma Geld mit Genuß gleichzusetzen, um im japanischen Geld Genuß wahrzunehmen, der ihnen selbst abhanden gekommen ist.

»… Murphy war dabei über die Japaner herzuziehen: ‘Sie haben das Empire State Building gekauft und Nell´s. Nell´s, glaubst Du das, Bateman‘ stieß er über seinem zweiten Absolut auf Eis aus - und das bewegte etwas in mir - es setzte etwas frei, und nach dem Verlassen von Rusty´s, während ich in der Upper West Side herumstrich - fand ich mich zusammengekauert im Eingang von dem was früher das Carly Simon´s war, ein ziemlich scharfes J. Akail Restaurant, das letzen Herbst schließen mußte, und indem ich nach einem vorbeifahrenden japanischen Botenjungen ausholte, stieß ich ihn vom Fahrrad und zog ihn in den Eingang - seine Füße irgendwie in dem Schwinn verhakt, das er fuhr, was mir von Vorteil war, denn als ich ihm die Kehle aufschlitzte - ziemlich mühelos sogar - wurde dieses spasmatische Zucken, das normalerweise diesen Vorgang begleitet durch das Fahrrad blockiert, das er trotzdem so fünf, sechs Mal anheben konnte, während er sein eigenes heißes Blut verschluckte. Ich öffnete die Kartons mit japanischem Essen und leerte ihren Inhalt über ihm aus, aber zu meiner Überraschung fielen anstatt von Sushi und Terriyaki und Rolls und Soba Nudeln, Huhn mit Cashew Nüssen über sein keuchendes, blutiges Gesicht, und Chow Mein Rindfleisch und frittierter Shrimps Reis und Schweinefleisch Moo Shu verteilten sich über seiner ringenden Brust, und dieser irritierende Rückschlag - versehentlich den falschen Asiaten getötet zu haben - bewegte mich dazu herauszufinden, wohin die Bestellung gehen sollte - Sally Rubinstein - und mit meinem Mont Blanc Füller schrieb ich auf die Rückseite: ‘Dich krieg´ ich auch noch, Fotze.‘«

In dieser Episode konzentriert sich die Essenz des Rassismus, seine direkte Beziehung zum (Kunst)Genuß und die Furcht, nicht mehr genießen zu können. Die Organisation des amerikanischen Genußes in Form der Riesenerektion Empire State Building oder des Nachtclubs Nell´s ( die Vulva) wird durch eine fremde, rücksichtslose, barbarische Rasse als bedroht gesehen. In vollkommener Direktheit wird hier die Eigenheit des Rassismus - Konjunktion der Vielfalt dargestellt: statt Sushi und Terriyaki und Rolls und Soba Nudeln Huhn mit Cashew Nüssen und Chow Mein Rindfleisch und frittierter Shrimps Reis und Schweinefleisch Moo Shu. Der oben zitierte »Genuß der Vielfalt der Kulturen« operiert hier in zwei Reihen, deren Elemente durch Konjugation verbunden sind. Chinese und Japaner unterscheiden sich darin nicht, die bittere Erkenntnis des Helden in der Geschichte. Die anderen sind also außerordentlich genußfähig. Und gerade die Japaner als die kastrierende Macht - also als die Kunstmächtigen per se - besetzen hier den Genuß als Stellvertreter für die vermisste Wahrheit in der Kunst. Die unvermittelte und direkte Lust an den männlichen Geschlechtsteilen wie sie sich etwa in ihren erotischen Holzschnitten (shunga) oder dem Tod durch Aufschlitzen der Eingeweide (hara kiri) ausdrückt, läßt ihren Drang nach der konkreten Einlösung des Sinnes der Sinnlichkeit verspüren. In Oshimas Film »Nur wir«, der typisch für den Westen mit »Im Reich der Sinne« (= Im Reich der Phalli) übersetzt wurde, würgt die auf dem Mann reitende Frau während des Geschlechtsverkehrs ihren Partner zu Tode, um ihm anschließend die Geschlechtsteile abzuschneiden. Das blutige Souvenir als Symbol für die »Ewigkeit der Lust« zu verstehen, kann nur dem westlichen Betrachter einfallen. Gerade die Lust hat sich erfüllt. Der Asiate lächelt über die Geschichte von der sexuellen Unersättlichkeit der Frau. (Die höchste Tugend des Mannes besteht darin, sein yin zurückzuhalten.) Der durchaus tragische Ausgang dieser Beziehung endet für den Regisseur sogar hoffnungsvoll: die Frau als Besitzerin des Phallus, als Wahrheit, als Kunst. »Was wir verschleiern, wenn wir dem anderen den Diebstahl des Genießens zuschreiben, ist die traumatisierende Tatsache, daß wir niemals besessen haben, was uns angeblich gestohlen worden ist: Der Mangel (die Kastration) ist ursprünglich, das Genießen konstituiert sich selbst als »gestohlen« oder, um Hegels genaue Formulierung aus seiner Wissenschaft der Logik aufzunehmen, kommt es nur zu Sein, indem es hinter sich gelassen wird.« Kurz: wenn Europa das andere Geschlecht verkörpert, dann ist Sex die amerikanische Form der Wissenschaft.

Oder mit Nietzsche: » - was sich aber uns enthüllt, das enthüllt sich uns Ein Mal! - Die Griechen beteten wohl:‘Zwei und drei Mal alles Schöne!‘ Ach, sie hatten da einen guten Grund, Götter anzurufen, denn die ungöttliche Wirklichkeit giebt uns das Schöne gar nicht oder Ein Mal! Ich will sagen, daß die Welt übervoll an schönen Dingen ist, aber trotzdem arm, sehr arm an schönen Augenblicken und Enthüllungen dieser Dinge. Aber vielleicht ist dies der stärkste Zauber des Lebens: es liegt ein golddurchwirkter Schleier von schönen Möglichkeiten über ihm, verheissend, widerstrebend, schamhaft, spöttisch, mitleidig, verführerisch. Ja, das Leben ist ein Weib!«

Stefan Beck (of Germany) 1993